Viscum L. - Mistel

Von den etwa 2500 bis 3000 heute bekannten parasitischen Blütenpflanzen aus 18 Familien ist bei uns die Mistel (Gattung Viscum L.) wahrscheinlich die bekannteste – nicht zuletzt auch durch den mistelsammelnden Druiden Miraculix.

Zu dieser Gattung gehören in den gemäßigten und tropischen Gebieten der Alten Welt (inkl. Australien) etwa 100 Arten. Die bei uns heimischen Pflanzen werden je nach Autor einer (Viscum album L.) Art bzw. drei Sippen (Laubholz-, Kiefern- und Tannenmistel) zugeordnet.

Es handelt sich hierbei um Parasiten, also um Lebewesen, die von anderen (in diesem Fall) Pflanzen leben. Da die Mistel auch eigenes Blattgrün besitzt und damit zur Photosynthese befähigt ist, klassifizierte man sie früher als sog. Halbschmarotzer (Hemiparasit). Damit brachte man zum Ausdruck, dass die Mistel nur im Hinblick auf die Versorgung mit Wasser und Mineralstoffen auf ihren Wirt zurückzugreifen scheint, indem sie sich an die entsprechenden Leitungsbahnen (also das Xylem) anschließt. In neuester Zeit kam man allerdings zur Erkenntnis, daß auch die Leitungsbahnen für die Assimilate (also das Phloem) durch verschiedene Halbschmarotzer ‘angezapft’ werden, so dass man diesen Begriff heute nicht mehr verwendet.

Es handelt sich bei der zweihäusigen Mistel um eine epiphytisch lebende Pflanze, die im Geäst ihrer Wirte dichte und besonders in der laublosen Winterzeit auffällige Büsche bildet. Aus dem Keimling dringt zunächst ein primäres Ernährungsorgan (Primärhaustorium) in den Wirt und dessen Leitungsbahnen ein. Bei manchen Arten kommen dann später noch tiefer eindringende, das Gewebe gleichsam durchwuchernde Ausläufer hinzu.

Am Endpunkt dieser Entwicklung finden wir mit V. minimum HARV. aus S-Afrika, eine Art, bei der nur noch die Blüten außen dringen; der gesamte sonstige Vegetationskörper verbleibt im Wirt.

Die Samen sind von einer verschleimenden Hülle umschlossen, die aus Geweben des Fruchtknotens und der Blütenachse hervorgegangen sind, so daß man im strengen Sinn nicht von ‘Beeren’ sprechen kann. Die Verbreitung erfolgt durch Vögel; die Samen bleiben nach der Darmpassage aufgrund ihrer schleimigen Hüllen an den Ästen haften und keimen dort auch. Auf den fädenziehenden Schleim der Mistel’beeren’ geht im übrigen auch der Begriff der ‘Viskosität’ („Misteligkeit“) als Maß für die Zähigkeit eines fließfähigen Stoffes zurück.

In Mythologie (besonders der Germanen und der Kelten) spielte die Mistel eine wichtige Rolle; als unheilabweisende Pflanze gegen die verschiedensten Dinge von der Unfruchtbarkeit bis zum Blitzschlag ist sie bis heute bekannt. So tötet nach der Edda der listige Loki den Lichtgott Baldr indirekt mit einem Mistelzweig, den er dem blinden Hödr auf dessen gespannten Bogen legt, nachdem Frigg, Baldrs Mutter, die gesamte im Boden wurzelnde Natur zum Schutz ihres Sohnes verpflichtet hatte – allerdings nicht die epiphytische Mistel.

Standort im Garten: An vielen Stellen im Freiland zu beobachten;

© Text: Botanischer Garten TU Darmstadt (BG aktuell 72, 1997; rev. 2009) (wird in neuem Tab geöffnet)