Dracula
Eine Täuschblume unter den Orchideen

Bei tierblütigen Pflanzen spielt die angebotene Belohnung für Besuch und Bestäubung eine entscheidende Rolle. Das ursprüngliche Anlockungsmittel ist ohne Zweifel Blütenstaub (Pollen), der im Laufe der Evolution sehr häufig und unabhängig voneinander durch andere ersetzt wurde (in sehr vielen Fällen Nektar; aber auch fettes Öl, Parfüm u.v.a.m.). Bei den Orchideen nun ist der Blütenstaub in den meisten Fällen in sog. Pollinien zu vielfach harten Portionen vereinigt. Oft wird der Blütenstaub einer ganzen Blüte zusammen übertragen. Das bedeutet, daß die Übertragungsmechanismen sehr sicher sein müssen und daß Pollen nicht gesammelt werden sollte (Totalverlust!).

Eine große Rolle spielen innerhalb dieser Familie Täuschblumen. So täuschen viele einheimischen Knabenkräuter (Orchis, Dactylorrhiza, Gymnadenia) durch den Besitz von Spornen Nektar vor, der aber nicht vorhanden ist und verleiten so junge Bienen zu einem Besuch. CHRISTIAN SPRENGEL (1750-1816; Gymnasialrektor in Spandau), der Begründer der Blütenökologie, spricht hier von ‘Scheinsaftblumen’. Aber auch das Vortäuschen von Sexualpartnern oder Blütenstaub (Sexualtäuschblumen bzw. Pseudopollenblumen) finden sich in der Palette des ‘Orchideenbetrugs’.

So verhält es sich auch mit vielen Vertretern der Gattung Dracula, die mit insgesamt etwa 80 Arten in den südamerikanischen Anden und in den höheren Lagen Zentralamerikas verbreitet ist. Der etwas marktschreierische Name (dracula = kleiner Drachen) verdankt die Gattung dem amerikanischen Orchidologen CARLYLE A. LUER, der eine verhältnismäßig einheitliche Gruppe der großen Gattung Masdevallia unter diesem Namen zusammenfaßte.

Die hier dargestellte Dracula vampira (LUER) LUER sind in den Nebelwäldern des westlichen Ecuador beheimatet Ihre Blüten täuschen wie die anderer Arten Pilzmücken, die ihre Eier normalerweise in Pilzfruchtkörper legen, wo auch die Larven heranwachsen.

Die Lippen dieser Orchideenblüten, die auf Moospolstern oder verrottendem Laub ausgebreitet liegen, sind nämlich wie der Hut eines Pilzfruchtkörpers gestaltet und weisen sogar eine lamellenartige Struktur auf. Die übrigen Blütenblätter sind schmutzig gefärbt und ahmen verrottendes organisches Material nach. Die Pilzmücken übertragen bei der Eiablage die Pollinien; die Larven können sich in dem pflanzlichen Gewebe nicht entwickeln und sterben ab. Die geradezu vollkommene Nachahmung verblüfft: die Insekten (v.a. Mycetophiliden) weisen ein sehr geringes Vermögen auf, geformte Ganzheiten zu sehen. Es muß deshalb verwundern, wie weit hier die Originalgetreue getrieben wird. Die Entdeckung dieses auch bei Nicht-Orchideen zu beobachtenden Pilzmückentäuschsyndroms verdanken wir dem bedeutenden Blütenökologen Professor STEFAN VOGEL (ehem. Mainz).

Standort im Garten: Im Schaufenster des Orchideenhauses. – Abb: D. vampira (LUER) LUER

Dr. Stefan Schneckenburger, 1997; rev. 2011
© Text: Botanischer Garten TU Darmstadt (Botanischer Garten aktuell 73NEU (wird in neuem Tab geöffnet) )